Wohlfahrtseinrichtungen der Nordwolle

Allgemeines zu den „Betrieblichen Fürsorgemaßnahmen"

Seit der Gründung der Norddeutschen Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei AG im Jahr 1884 wurden von der Firmenleitung verschiedene Einrichtungen der sozialen Fürsorge ins Leben gerufen. Damit wurde der Grundstein für ein System der betrieblichen Wohlfahrtseinrichtungen gelegt, das dann später die Beschäftigten der Nordwolle durch ihr Berufsleben begleitete. 

 

Aus heutiger Sicht ergab sich dadurch eine starke Abhängigkeit der Belegschaft von der Fabrikleitung. Bei Krupp in Essen gab es damals ähnliche betriebliche Wohlfahrtseinrichtungen (ein Begriff der damaligen Zeit). Die Strukturen in Delmenhorst entsprachen also den üblichen Gegebenheiten damaliger Großunternehmen.   

Mädchenwohnheim und Arbeitersiedlung Heimstraße 

Ein Zimmer im Werkskrankenhaus 

Kinderbetreuung im Säuglingsheim 

Konsum der „Nordwolle" im Privatweg
(um 1905)

Pastor Grell mit jungen Arbeiterinnen 

Wohneinrichtungen

Mit dem Aufbau der Fabrik ging der Bau von Wohnungen einher. An der heutigen Nordwollestraße entstanden ab 1884/85 Arbeiterhäuser. Häuser für Beamte und leitende Angestellte wurden ab 1885 am Fabrikhof errichtet. Ab 1900 wurden dann 60 Gebäude mit 140 Wohnungen in der Heimstraße, der Pappelstraße, der Birkenstraße und der Eichenstraße gebaut. 

 

Das 1884/85 errichtete Mädchenlogierhaus wurde 1898 durch ein Mädchenheim (heute Seniorenheim) ersetzt, das Männerlogierhaus durch ein Jünglingsheim an der ehemaligen Birkenstraße und ein Junggesellenheim für jüngere ledige Angestellte an der Hasbergerstraße.

 

Der Wohnungsbau war eine zwingende betriebliche Notwendigkeit, ohne den die Anwerbung von geeigneten Arbeitskräften unmöglich gewesen wäre. Im Zusammenhang vieler größerer Betriebe finden wir noch heute Arbeitersiedlungen, die im Zug der Industrialisierung entstanden sind. 

Gesundheitswesen

Eine Betriebskrankenkasse gab es auf der Nordwolle seit der Betriebsgründung, obwohl diese gesetzlich vorgeschrieben ist, wurde sie dennoch von der Firma zu den Wohlfahrtseinrichtungen gezählt. Die Leistungen dieser Kasse gingen jedoch auch über die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestforderungen hinaus. 

 

Lange bevor es ein öffentliches Bad in Delmenhorst gab, wurde 1886 eine Badeanstalt auf dem Fabrikgelände eingerichtet. 

 

Seit 1888 betreute ein Werksarzt die Betriebsangehörigen, eine Krankenstation war mit der Dienstwohnung des Arztes verbunden. 1890 wurde ein Werkskrankenhaus an der Stedinger Straße eingerichtet. Es folgte ein Wöchnerinnenheim und ein Kurhaus in Elmeloh. 

 

Ebenso wie im Ruhrgebiet brachte auch in Delmenhorst die schnelle Industrialisierung eine Reihe von Missständen mit sich, so belastete zum Beispiel die Arbeit in einer Textilfabrik in hohem Maße die Atmungsorgane. Die Firmenleitung versuchte solche Misstände durch die Fürsorgemaßnahmen auszugleichen, im Vordergrund stand dabei jedoch immer das Interesse an der Erhaltung der Arbeitskraft. 

Kinderbetreuung

Schon seit 1886 gab es verschiedene Einrichtungen zur Kinderbetreuung, wie ein Säuglingsheim, eine Kinderspielschule und einen Kinderhort. 

 

In der Textilfabrikation waren überwiegend Frauen beschäftigt, die auch als Mütter auf die Einkünfte aus der Fabrikarbeit angewiesen waren. Die Unterbringung der Kinder in Pflegefamilien führte oft zu Vernachlässigungen. die Säuglingssterblichkeit in Delmenhorst war sehr hoch. 

 

Durch die betrieblichen Einrichtungen versuchte man, diese Zustände zu verbessern. Die außergewöhnlich hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit, verursacht durch unhygienische Wohnverhältnisse, wurde durch die gemeinsamen Anstrengungen der Stadt und der Fabrik jedoch nicht gemindert. 

Sonstige Sozialeinrichtungen

Seit 1889 gab es eine Rentenversicherung und neben der gesetzlich vorgeschriebenen Unfallversicherung unterhielt das Werk noch eine Alters- und Invaliditätsversicherung und zahlte ein Sterbegeld. Es gab einen Arbeiterunterstützungsfond und einen Fond zum „Besten der Arbeiter und Beamten" (1900/1905). Aus diesen Fonds wurden zum Teil die Wohlfahrtseinrichtungen finanziert, später ging dieser jedoch in andere Einrichtungen, wie der 1906 gegründeten Pensionskasse für Fabrikbeamte und Angestellte, auf. 

 

Nach dem Konkurs 1931 wurde in der NS-Zeit ein Arbeiter- und Angestelltenunterstützungsfond eingerichtet, 1942 wurde die NW&K-Gefolgschaftshilfe ins Leben gerufen. 

 

Der 1893 gegründete Konsumverein der NW&K ermöglichte preiswertes Einkaufen,

der Rabatt betrug meistens circa 10 bis 12 Prozent. Sieben Jahre später kam noch eine Bäckerei hinzu. 1905 wurde die Speiseanstalt eröffnet, in der ursprünglich nur die Angestellten eine warme Mahlzeit einnehmen konnten, die Arbeiter:Innen jedoch zu verbilligten Preisen während der Pausen Brötchen und Getränke erwerben konnten. 

 

Der 1884 von Wilhelm Benque für die Familie Lahusen angelegte Wollepark war erst zur NS-Zeit der Öffentlichkeit zugänglich. 

Religiöse Fürsorge

Eine Sonderstellung nimmt die religiöse Fürsorge durch die Fabrikleitung ein, für die es im Gebiet des damaligen Deutschen Reichs keine Vorbilder gab. 1897 wurde ein evangelischer Werkspastor für die Betreuung der Arbeiter eingestellt. Carl Lahusen, der Fabrikdirektor, betrieb die Schaffung einer unabhängigen Werksgemeinde durch die Einrichtung einer Kapelle im Mädchenwohnheim und den Bau eines Pastorenhauses auf dem Werksgelände. Dem Geistlichen oblag auch die Entwicklung eines christlichen Vereinswesens. 

 

Wenn auch der Fabrikgeistliche bei der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte half, so haben doch wohl nicht nur wirtschaftliche Überlegungen, sondern auch das christlich protestantische Selbstverständnis der Familie Lahusen den Ausschlag für diese Einrichtung gegeben. Von der Firmenleitung wurde im übrigen kein Druck auf Andersgläubige ausgeübt.

 

Pünktlichkeit und Gehorsam gegenüber kirchlicher und weltlicher Obrigkeit, sowie Anstand und Fleiß waren die Leitgedanken dieser sittlichen Erziehungsziele. 


 

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