Kontor

das waren ja auch höher gestellte Leute" , Armine Bömers

Die NW&K war wie so viele andere Fabriken der damaligen Zeit eine eigene Welt mit einer ihr eigenen Hierarchie. Etliche neue Berufsgruppen entstanden durch Fabrikgründungen, am deutlichsten vollzog sich die Trennung der Beschäftigten durch die Einteilung in Kopf- und Handarbeiter", in Arbeiter:Innen und Angestellte.

 

Die Norddeutsche Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei wurde 1884 als Aktiengesellschaft gegründet, deshalb stand an oberster Stelle der Rangordnung der Vorstand. Bei der NW&K gehörten diesem ausnahmslos Mitglieder der Familie Lahusen an. Fabrikbesitzer wie die Familie Lahusen waren auf einen Stab von kaufmännischen- und technischen Mitarbeiten angewiesen, denn die NW&K war ein industrieller Betrieb mit eigener Einkaufs- und Verkaufsorganisation, sowie einer eigenen Bauabteilung.

 

Ungewöhnlich erscheint aus heutiger Sicht für die Berufsgruppen innerhalb einer Fabrik der Begriff Beamte". Wie bei den Staatsbeamten verband man auch bei den Privat- oder Betriebsbeamten der Fabrik bestimmte Werte mit dieser Bezeichnung. Besonders durch ihre Loyalität und Treue gegenüber dem Unternehmer und durch einen Dienstethos mit uneigennützigem Fleiß, hoben sie sich von der Gruppe der Lohnarbeiter ab. Die Beamten nahmen innerhalb des Fabriksystems der NW&K leitende Funktionen wahr, sie unterschieden sich jedoch in technische Beamte wie zum Beispiel Ingenieure oder Techniker und leitende kaufmännische Beamte.

 

Mit der Vergrößerung der Fabriken wurden die Arbeitsfelder vielfältiger und die Berufseinteilung schwieriger. Zuerst wurde noch zwischen Beamten, Hilfsbeamten und Handlungsgehilfen unterschieden, erst nach 1900 setzte sich jedoch allmählich der Oberbegriff Angestellte" für diese Berufsgruppen durch.

 

Schon im Aussehen unterschieden sich die Kopfarbeiter" von den restlichen Arbeitern:Innen. Die Firmenleitung erwartete, dass sich die kaufmännischen Mitarbeiter ihrer Stellung gemäß kleideten. Im Büro trug man einen Anzug, weiße Hemden mit Krawatte oder Binder waren Pflicht. An der Kleiderordnung erkannte jeder den Rang, denn die leitenden Mitarbeiter unterschieden sich durch feinere und stattlichere Anzüge von den anderen, die oftmals mit einfachen Anzügen und Ärmelschonern bekleidet waren. Im Gegensatz zu Arbeitern:Innen die wöchentlich Lohn erhielten, bekamen die Beamten ein monatliches Gehalt und Urlaub, außerdem hatten sie kürzere und flexiblere Arbeitszeiten. Fabrikbeamte, Meister und technische Fachkräfte wurden durch die Pensionskasse der NW&K zusätzlich versorgt, somit kam die besondere Stellung und Bevorzugung auch bei der Altersvorsorge zum Ausdruck. 

 

Auf diese Weise konnte die Hierarchie innerhalb der Belegschaft verdeutlicht werden. Vielleicht wurde diese Trennung der Beschäftigten von Unternehmern auch bewusst gefördert, um ein Übergreifen von Arbeitskämpfen auf die Angestellten zu verhindern. Bei der NW&K beteiligten sich die Beamten und Angestellten an keinerlei Arbeitskämpfen oder Streiks der Arbeiterschaft. Ihre Interessen wurden durch eigene gewerkschaftliche Organisationen, wie der Beamtenbund und die Angestelltengewerkschaft vertreten.

 

Das patriachalische System der NW&K wurde auch in der Wohnbebauung für Beamte und Arbeiter:Innen deutlich. Die Beamtenwohnhäuser am Fabrikhof zeigen eine ausgeprägte Tendenz zur Repräsentation, sie waren geräumig und boten viel Wohnkomfort. In ihrer architektonischen Gestaltung und im Grundriss variierten sie, außerdem errichtete man sie in unmittelbarer Nachbarschaft zur Unternehmer-Villa.

In einem der Beamtenwohnhäuser befand sich in den Gründungsjahren das Kontor, bis man es 1889 an die Nordwollestraße verlegte. Das neue Kontorgebäude war ein schlichter Bau im Wohnhausstil. Dies hing mit der früheren Nutzung des Gebäudes als Portier- und Logierhaus zusammen. Mit der Vergrößerung des Betriebes und dem Ausbau zum Konzern, benötigte die NW&K mehr Platz für anfallende Arbeiten in Verwaltung und kaufmännischem Bereich. Durch Anbauten in den Jahren 1905 und 1914, die man dem Stil der vorhandenen Gebäude anpasste, entstand so ein zusammenhängender Verwaltungsbereich, der sich an der Schaufassade, zur Nordwollestraße hin, durch angebrachte Markisen von der übrigen Gebäudefront abhob.

 

Auf der rückwärtigen Seite des Kontors befand sich der repräsentative Bereich der Firma, in unmittelbarer Nähe von Unternehmervilla und Park gelegen. Hier konnten Besucher:Innen empfangen werden. Sie blieben von den üblen Gerüchen und vom Qualm der Fabrik weitgehend verschont. Lediglich ein Bahngleis, auf dem Rohwolle und Fertigprodukte transportiert wurden, durchquerte dieses Gebiet.

 

Für ledige kaufmännische Mitarbeiter stand an der Hasberger Straße das Junggesellenheim (Herrenhaus) zur Verfügung. In diesem villenartigen Gebäude waren Lehrlinge in Einzelzimmern untergebracht. Sie konnten außerhalb der Arbeitszeit Bildungsangebote nutzen und Hockey beziehungsweise Tennis spielen.

 

Ein separates Verwaltungsgebäude entstand 1927 unter Leitung von G. Carl Lahusen in Bremen. Wie bei vielen Großunternehmen der damaligen Zeit, sollte die steinerne Pracht dieses Bauwerks die wirtschaftliche Macht und Geltung des modernen Großunternehmens darstellen. Die Direktoren fuhren mit ihren Automobilen in die Tiefgaragen und gingen dann in eine für sie vorgesehene Beletagé. Eine Vielzahl an Angestellten fand sich mit Anzug und Hut gekleidet am Arbeitsplatz ein und in den neuen Großraumbüros saßen Sekretärinnen und Stenotypistinnen, welche dort ihre Arbeit verrichteten.

 

Diese Demonstration der Macht währte jedoch nur wenige Jahre, denn nach dem Konkurs der NW&K 1931 musste das Gebäude verkauft werden und ein Teil der Beschäftigten verlor den Arbeitsplatz. Die restliche Belegschaft bezog wieder die alten Kontor und Verwaltungsräume im Delmenhorster Stammhaus.

von: Marianne Huismann

 

Kontakt:

E-Mail: nordwollemuseen(at)web.de

Instagram: nordwollemuseen.delmenhorst

 

Diese Internetseite wurde vom Förderkreis Industriemuseum Delmenhorst e.V. erstellt.